Gliederpuppe
Frankreich 19. Jahrhundert
Holz, höhenverstellbarer Sockel
H 58 cm

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Gliederpuppen stellen seit der Renaissance einen unverzichtbaren Bestandteil des Künstlerateliers dar. Von Pollaiuolo, Fra Bartolommeo und Dürer ist überliefert, dass sie zur Konzeption ihrer Kunstwerke, vor allem aber für Proportions- und Kompositionsstudien hölzerne Puppen verwendeten. Die Künstler stellten die Gliederpuppen selbst her, sie wurden als eigenständiges Kunstwerk betrachtet. Derartige Modellfiguren wurden insbesondere für Draperiestudien benutzt und ermöglichten es dem Künstler, den Faltenwurf eines Gewandes in einer bestimmten Körperhaltung darzustellen, ohne auf ein lebendiges Modell angewiesen zu sein. Während sich der Status der Gliederpuppe im Laufe der Jahrhunderte in den Augen der Zeitgenossen und Kunsttheoretiker änderte, blieben sie stets wertvolles Werkzeug der Künstler. Bis heute werden sie als Kompositionshilfe und für Zeichenstudien eingesetzt.

Die Puppen waren aber wohl mehr als reine technische Hilfsmittel: Als dauerhafte Begleiter und Bewohner des Ateliers bauten Künstler eine Beziehung zu ihrem stillen Modell auf. Nur wenige konnten sich mehr als eine Puppe leisten, sie verblieb dauerhaft im Atelier und so verwundert es nicht, dass Gliederpuppen sich vom funktionalen Objekt hin zum eigenständigen Subjekt entwickelten. Seit dem 19. Jahrhundert wurden auch die Puppen vermehrt selbst zum Bildthema. Zu diesem Zeitpunkt waren die Modelle bereits komplett geschnitzt und montiert aus Manufakturen zu beziehen. Die Größe reichte dabei von kleinen Exemplaren, wie man sie noch heute im Kunstunterricht verwendet, bis hin zu lebensgroßen Puppen. Künstlerische Weiterentwicklungen und unterschiedliche Bedürfnisse führten zu einer Formenvielfalt, verschiedene Typen bildeten sich heraus.

Die hier vorliegende männliche Gliederpuppe zeichnet sich durch ihre Ästhetik und die qualitätsvolle Ausführung aus. Die Gelenke sind mit hölzernen Kugeln versehen und ermöglichen eine große Bewegungs- und damit Inszenierungsfreiheit, nur die Haltung der Finger und Zehen ist bereits vorgegeben. Insbesondere das ausdrucksstarke Gesicht mit Stirnfalten und detaillierten Augenbrauen zeigt, dass sie in Frankreich gefertigt wurde.
Bis heute hat sich die volle Beweglichkeit der Puppe erhalten, sie eignet sich nach wie vor für den Einsatz im Künstleratelier. Die Gliederpuppe ist mehr als ein materielles Zeugnis künstlerischen Schaffens – sie ist selbst ein Kunstobjekt. Ihre charismatische Gestaltung und qualitätsvolle Umsetzung machen sie zu einer beweglichen, immer neu inszenierbaren Skulptur.

Publiziert in: Raum für Objekte - Ariane Laue Kunsthandel, Kat. VIII - Nr. 8, München 2021