Adler im Greifflug
Alpenländisch 18. Jahrhundert
Öl auf Leinwand
L 240 cm, H 106 cm

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Ein Adler ist niemals nur ein Adler.
Wenige Tiere sind symbolisch so aufgeladen wie der „König der Lüfte“, er steht in einer über Jahrtausende hinweg entwickelten Erzähl- und Darstellungstradition. Bis heute wird er als Sinnbild der Herrschaftsmacht in der Tradition des Römischen Reiches als heraldische Figur eingesetzt, in der christlichen Ikonographie erscheint er meist als Attribut des Evangelisten Johannes und als Symbol für die Himmelfahrt Christi. Die römische und griechische Mythologie wiederum kennt ihn an vielen Stellen, die bekannteste Erzählungen sind wohl der Ganymed-Mythos, in dem sich Zeus in einen Adler verwandelt, und die Prometheus-Sage, in welcher der Adler Aithon dem Titan Prometheus täglich seine Leber entreißt.
In vielen Darstellungen wird das majestätische Tier im Flug gezeigt, so stürzt sich auf „Der gefesselte Prometheus“, gemalt von Peter Paul Rubens und dem Tiermaler Frans Snyders Aithon auf sein Opfer. Auch auf Giovanni Battista Palumbas „Zeus als Adler entführt Ganymed“ breitet der Adler seine Schwingen aus, in seinen Krallen Ganymed, den Schnabel geöffnet.

Auch das Tier auf dem hier vorliegenden Gemälde „Adler im Greifflug“ hat seine Krallen in der Luft ausgestreckt, der Jäger ist bereit, jederzeit seine Beute zu ergreifen. Dennoch bleibt sein Schnabel verschlossen, der nach rechts gewandte Kopf steht ruhig, schützend breitet er, einem Wappentier gleich, seine Schwingen aus. Die Länge des Halses und die Profilansicht des Kopfes wiederum stellen zudem eine Verbindung zum Adler als Gemeine Figur der Heraldik her.
Das Werk ist unsigniert, ungewöhnlich für eine solch beeindruckende Arbeit. Auch das langgezogene Querformat ist außergewöhnlich, wie die Farbränder zeigen, wurde das Bild vor der Rahmung nicht beschnitten. Es ist auf Unteransicht konzipiert, der Hals des Adlers erscheint verlängt, erst die richtige Perspektive sorgt für eine naturalistische Proportion und Farbwirkung. Auch die eher flächige Malweise, die nicht auf Nahansicht angelegt ist, sondern sich erst mit einem gewissen Abstand entfaltet, weist auf eine Platzierung über den Köpfen der Betrachter hin.  Das Format in Kombination mit der unteransichtigen Konzeption lässt vermuten, dass das Bild ursprünglich in ein herrschaftliches Treppenhaus oder einem repräsentativen Saal eingebettet hing, etwa über einem Türstock. Möglicherweise war das Gemälde Teil eines größeren Bildprogramms und wurde mit anderen Werken korrespondierend gehängt. In einen jagdlichen Kontext würde der Adler eben thematisch wie kompositorisch passen, denn die Beizjagd wurde nicht nur mit Falken, sondern auch mit den weit größeren Adlern betrieben.
Bei dem hier dargestellten Greifvogel handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen jungen Steinadler, ein heute bedrohtes, im Alpenraum vor 1800 aber weitaus häufiger anzutreffendes Tier. Es braucht mehrere Jahre, bis sich die endgültige dunkle Federzeichnung eines Steinadlers, auch als Goldadler bekannt, ausgeprägt hat. Der Jagdvogel hat eine beeindruckende Spannweite von bis zu 230 cm und eine Körperhöhe von bis zu 100 cm – der Adler im Greifflug wird also nicht nur naturnah, sondern tatsächlich lebensgroß gezeigt.
Aus stilistischen Gesichtspunkten lässt sich annehmen, dass dieses Gemälde im ausgehenden 18. Jahrhundert im Alpenraum entstand. Großes Interesse zeigt der Künstler nicht nur am Adler als Symbol, sondern auch an der naturalistischen Darstellung eines prächtigen Tieres der Gattung Aquila chrysaetos.

Das Entstehungsdatum fällt mit einem neu erwachten Forschungsinteresse zusammen: Mit Mathurin-Jacques Brisson und Georges-Louis Leclerc de Buffon beginnt eine wissenschaftlich ausgerichtete Vogelkunde. Ihre Werke sind von prächtigen Illustrationen begleitet, Künstler wie François-Nicolas Martinet oder der Augsburger Johann Jacob Haid fertigen Kupferstiche der unterschiedlichen Vogelgattungen an – auch der Steinadler ist darunter.
Trotz der Anlage des Gemäldes auf Fernsicht wird deutlich, wie intensiv der Maler des Adlers im Greifflug den Vogel studiert haben muss. Damit reiht er sich wahrscheinlich in ein Gruppe von Malern ein, die sich auf die Tiermalerei spezialisierten. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Bildgattung ist Frans Snyders, der den Adler auf Rubens Der gefesselte Prometheus malte. Sein niederländischer Zeitgenosse Melchior de Hondecoeter war ebenfalls auf das Tierstück spezialisiert, seine Bilder blieben noch lange nach seinem Tod auch aufgrund des unverfänglichen Sujets populär. Auch Maler jüngerer Zeit wie Rosa Bonheur konzentrierten sich auf die Tiermalerei und schufen eigenständige Werke, die weit über die Mitarbeit an den Bildern anderer Künstler hinausgingen und sich intensiv nicht nur mit der Physiognomie, sondern auch der Inszenierung von Tieren auseinandersetzten. Manche Künstler wie der Deutsche Johann Christian von Mannlich wussten die für ornithologische Stiche übliche sitzende Haltung des Vogels mit symbolischer Aufladung zu verbinden, sein Werk Steinadler auf Felsen illustriert die von ihm selbst geschriebene Fabel Adler und Eidechse.

Dennoch unterscheiden sich all diese Darstellungen stark vom Adler im Greifflug. Die außergewöhnliche Komposition des Bildes und die silhouettenhafte Inszenierung des Adlers ohne weitere Bildelemente ist in keinem vergleichbaren Werk zu finden.  Adler im Greifflug verbindet die über Jahrtausende aufgeladene Symbolkraft mit einer naturalistischen Darstellung: Durch die majestätische, lebensgroße lnszenierung evoziert der Künstler die Mythen und Bilder, die den König der Lüfte bis heute umgeben.

Publiziert in: Raum für Objekte - Ariane Laue Kunsthandel, Kat. V - Nr. 1, München 2017