Junge mit Drachen
Frankreich, 18. Jahrhundert
Öl auf Leinwand
H 63 cm, B 53 cm
Originaler Rahmen
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Tief in sich versunken justiert ein Junge die Spannfäden seines Drachen. Seine Unterlippe ist herabgesunken, voller Konzentration widmet er sich seinem Spielzeug, das doch weit mehr als das ist: Von dem Jungen selbst angefertigt, steht es für Lernen, Erziehung und Geschick und entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu einem wiederkehrenden Attribut in Knabenportraits. Die zurückhaltende, aber nuancierte Farbigkeit, die detailreiche Komposition, gekonnt ausgeführt mit gezielten Pinselstrichen, die beeindruckende Stofflichkeit, und nicht zuletzt die Komposition und das Sujet machen dieses Portrait zu einem außergewöhnlichen, ausdrucksstarken Gemälde das durch seine künstlerische Qualität wie durch seine kontemplative Stimmung überzeugt.
Wahrscheinlich handelt es sich bei dem vorliegenden Werk um das Auftragsportrait eines Jungen aus einer einer wohlhabenden Familie. Interessanterweise sind zwei weitere Bilder mit vergleichbarer Bildkomposition bekannt, darunter ein Gemälde, das in jüngerer Vergangenheit Philippe Mercier zugeschrieben wurde. Zudem gibt es eine Lithographie, publiziert in Sports and Games of Skill von 1903, die ebenfalls nach einem Gemälde, einem Kupferstich oder einem Mezzotinto angefertigt wurde.
Das hier vorliegende Portrait zeigt einen kleineren Ausschnitt als die beiden Vergleichswerke, es ist jedoch nicht beschnitten und wurde entsprechend bereits in diesem Format konzipiert. Im Zuge der Reiningung und Restaurierung wurden Pentimenti entdeckt die ebenfalls verdeutlichen, dass der Maler keine einfache Kopie anfertigte, sondern bewusst das Motiv weiterentwickelte.
Alle drei bekannten Werke zeigen nicht nur Variationen in Kleidung, Ausstattung und Hintergrund sondern auch unterschiedliche Personen. Dieses Vorgehen entspricht der Portraitpraxis des 18. Jahrhunderts: Portraitmaler griffen auf erprobte Kompositionen zurück und variierten beliebte Darstellungen nach Kundenwünschen und fügten die Gesichter der Portraitierten ein. Als Vorlagen verwendeten sie sowohl eigene Skizzen als auch Druckwerke sowie die Gemälde anderer Maler. Dieses Vorgehen verkürzte die Zeit, die der Dargestellte selbst dem Maler Modell stehen musste erheblich – nicht nur bei Kinderportraits ein erheblicher Vorteil. Solche auf Vorlagen basierende Portraits waren bis in die höchsten Kreise üblich. Selbst der wichtigste Portraitmaler am Hofe von Louis XV, Jean Marc Nattier, griff regelmäßig auf bewährte Motive, Skizzen und Vorlagen zurück (vgl. Salmon 1999, S. 28f).
Beim Maler des vorliegenden Bildes handelt es sich um einen überzeugenden Portraitisten, dem es mit gekonntem Pinselstrich gelang, einen heranwachsenden Jungen am künstlerischen Puls seiner Zeit einzufangen. Deutlich tritt der französische Charakter zu Tage ohne aber im lieblich-künstlichen zu verharren.
Unser Maler trifft einen talentierten Jungen, er inszeniert ihn in tiefster kindlicher Konzentration – ein selten feinfühliges, informelles Gemälde das bis heute fasziniert.
Publiziert in: Raum für Objekte - Ariane Laue Kunsthandel, Kat.VI, Nr. 1, München 2019