Athanor
Pharmazeutischer Ofen
Italien um 1700
Keramik, glasiert
H 87 cm

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Mit seiner ungewöhnlichen Form, der rostroten Farbe, seiner Ornamentik und der beeindruckenden Materialität verfehlt es das vorliegende Objekt – ein Ofen – nicht zu faszinieren. Tatsächlich handelt es sich hierbei nicht etwa um einen Dörr- oder Wärmeofen, sondern um einen äußerst seltenen Athanor, ein pharmazeutisches Gerät, wie es von Alchemisten der Frühen Neuzeit verwendet wurde. Aus glasierter Keramik gefertigt ist er ein Gebrauchsgegenstand, dessen ästhetische Gestaltung weit den rein praktischen Nutzen überschritten hat.

Verziert mit Maskaronen, Sternen und Girlanden ist er in drei Teile zerlegbar. Notwendige Elemente wie Griffe und Öffnungen sind geschickt in die Gestaltung integriert – heute zeugen historische Reparaturen von seinem wiederholten Einsatz. Der untere Teil diente dabei der Aufnahme von Kohle, die auf niedriger Temperatur schwelen konnte. Auf dieses flache Unterteil wiederum wurde der mittlere Korpus aufgesetzt, Reste eines eingearbeiteten Gitters, ebenfalls aus Keramik, zeugen davon, dass einst ein Gefäß in der Mitte des Ofens Platz fand. Seitliche Öffnungen erlaubten das Entweichen heißer Luft oder die Ableitung gewonnener Substanzen. Der Deckel, mit spitzem Abschluss, verhinderte wiederum das frühzeitige Auskühlen des Gemischs, das in diesem Ofen für längere Zeit auf Temperatur gehalten und gären, ja „ausgebrütet“ werden konnte.
Dieser turmförmige Aufbau, mit Platz für ein Gefäß im Inneren und spitzem Deckel, ist typisch für den Athanor und kann auf vielen Darstellungen beobachtet werden. Um die genaue Definition eines Athanors herrscht, heute wie bei den frühneuzeitlichen Alchemisten, Uneinigkeit. Gemeinsam ist Ihnen, dass sie der Aufnahme des philosophischen Eies dienten, das auch bei Versuchen, den Stein der Weisen zu erzeugen, zum Einsatz kam. Oft fällt in diesem Zusammenhang auch der Name philosophischer Ofen, Piger Henricus, oder Fauler Heinrich, da einige Öfen anstatt eines Kohlebeckens mit über ein Rohr nachrutschenden Kohlen heizten. Das Wort Athanor selbst stammt aus dem Arabischen und bedeutet Ofen.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der neuesten, in der letzten Dekade stark verdichteten Forschung ist, dass frühneuzeitliche Alchemie eine beeindruckend große, schwer zu beschreibende Varianz von Ideen, Praktiken und Personen beinhaltet – ja, dass diese großen Unterschiede geradezu typisch sind. Auch eine Abgrenzung der Alchemie, die sich im Laufe der Zeit zu der uns heute bekannten Pharmazie und Chemie hin entwickelte, ist kaum möglich.
Gemein ist jedoch den meisten Alchemisten, sich einer höheren Aufgabe, nicht nur der wirtschaftlichen Produktion verbunden zu fühlen, und Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Ihre Gerätschaften wurde dabei oft Küchen und metallverarbeitenden Werkstätten entlehnt – und nach ihren spezifischen Bedürfnissen weiterentwickelt. Die Laboratorien selbst und die Qualität der technischen Ausstattung der Alchemisten wiederum sind ebenso variantenreich wie ihr beruflicher und gesellschaftlicher Hintergrund: Abhängig vom sozialen Status und finanziellen Mitteln der Alchemisten und ihrer Auftraggeber schwankten Größe und Qualität von Labor und Gerätschaften stark.
Im 16. und 17. Jahrhundert waren es oft europäische Höfe, die über ein Laboratorium verfügten – und teilweise von den Fürsten, Königen und Kaisern selbst genutzt wurden. Wenige erhaltene Prunköfen, wie der vergoldete Destillierofen des Landgrafen Moritz von Hessen Kassel verweisen auf diese Praxis. Als symbolisches Schaustück verweist er auf die Gelehrtheit und Interessen des Grafen . Der prächtige Ofen zeugt von künstlerischer Qualität und Repräsentationskraft alchemistischer Gegenstände, die auch durch ihren Dekor gekennzeichnet sind.

Generell haben sich nur erstaunlich wenige Athanore oder andere pharmazeutische Öfen erhalten – möglicherweise, weil es sich oftmals eher um feste Einbauten als um tragbare Tischöfen wie den vorliegenden handelte. Heute sind die meisten dieser Einbauöfen leider gemeinsam mit dem ursprünglichen Kontext verloren gegangen. Als Gebrauchsgegenstände waren sie starker Belastung unterworfen, viele Museen behelfen sich heutzutage daher mit Nachbauten. Weitere Quellen, wie Traktate und künstlerische Darstellungen, zeigen auch kleinere Ofenvarianten, die zum Teil auf Tischen stehen. Diese sind jedoch – gerade im 17. Jahrhundert – als beliebtes, teilweise gesellschaftskritisches Motiv nicht der getreuen Wiedergabe verpflichtet. Dennoch können einige Traktate die Vorgänge in einer Alchemistenwerkstatt zumindest illustrieren. Zudem spielt der Athanor eine bedeutende Rolle in der Liebessymbolik und findet sich oft in Emblemen.

Auch der Dekor des vorliegenden Ofens verweist auf seine Verwendung: Neben Girlanden, Maskaronen, achtzackigen Sternen und Löwenfüßen finden sich mehrere Darstellungen der Sirena Bicaudata, eine Sirene mit zweigeteiltem Schwanz. Vergleichbare fratzenhafte Gesichter lassen sich nicht nur auf dem bereits erwähnten Destillierofen des Herzogs von Braunschweig-Wolffenbüttel, sondern auch gehäuft als Maskaronen auf anderem pharmazeutischen Gerät der frühen Neuzeit nachweisen: Insbesondere italienische Mörser zeigen oftmals vergleichbare Motive.
Die Sirena Bicaudata wiederum verweist auf Fruchtbarkeit, ein für die Alchemie typische Symbolik, wird doch der Alchemist selbst als Kreator begriffen. Auch der achtzackige Stern, das Symbol der Göttin Ishtar, das wiederum dem Planeten Venus zugeordnet wird, kann als Verweis auf Fruchtbarkeit verstanden werden. Das gleiche Motiv findet sich beispielsweise auf Terra sigillata-Tabletten aus Lemnos, Griechenland, einem fetten Ton, der bis zum 17. Jahrhundert als heilkräftig galt. Technik, Material und Gestaltung führen zu der Annahme, dass der vorliegende Athanor in Italien um 1700 entstanden ist.

Lediglich das Museum of Science in London besitzt ein direkt vergleichbares Stück, das ebenfalls aus glasierter Keramik besteht, jedoch einen anderen Ofentypus repräsentiert, das hier angebrachte Wappen weist auf einen fürstlichen Hintergrund hin. Zudem zeigt das Museo Storice Nazionale dell’Arte in Rom alchemistisches Gerät, das als Athanor benannt wird, jedoch nur entfernt mit dem vorliegenden Ofen verwandt ist.
Sein aufwändiger Dekor und die ästhetische Gestaltung lassen darauf schließen, dass er einst einem hochrangigen Alchemisten oder Pharmazeuten gehörte, der diesen nicht nur zu praktischen, sondern auch zu repräsentativen Zwecken einsetzte. Als ausgesprochen seltenes Stück musealer Qualität evoziert er die Ursprünge unserer heutigen Naturwissenschaften – ein beeindruckendes historisches Zeugnis gelebter Wissenschaft.

Publiziert in: Raum für Objekte - Ariane Laue Kunsthandel, Kat.VI - Nr. 17, München 2019